Statement & Kritik

Im folgenden veröffentlichen wir eine Kritik an der Linken Szene Lüneburgs und an zwei der bestehenden Antifa-Gruppen. Wir begrüßen die Kritik und den Anstoß zur Diskussion, die von ihr ausgeht. Darüber hinaus teilen wir diese grundlegend, wir müssen uns um offenere Räume bemühen, beständig daran arbeiten keine Diskriminierungen zu reproduzieren und ein kritisch-solidarisches Verhältnis zueinander pflegen, gerade wenn das manchmal unbequem wird. 
Insofern bietet dies uns Anlass die Diskussion um die Reproduktion von rassistischen und anderen Unterdrückungsverhältnissen erneut aufzunehmen und in die Auseinandersetzung zu gehen, wie wir solchen Mechanismen in unseren Gruppen und der Szene begegnen können. Obwohl dafür auch öffentliche Debatten, Kritik und Austausch notwendig sind, sehen wir Social Media nicht als den richtigen Ort dafür an. Deswegen verzichten wir auf ein längeres Statement von uns und beschränken uns darauf, der Kritik Raum zu geben. Auf Social Media geführte Debatten laufen immer wieder Gefahr, Strukturen aufzudecken und andere sensible Informationen den Repressionsorganen des Staates  preis zu geben. Unserer Einschätzung nach kann der in den sozialen Netzwerken gegebene Raum weder der Komplexität der Situation noch der Debatte gerecht werden. Damit wollen wir uns allerdings keineswegs der Debatte noch der Kritik entziehen, sondern wollen, neben der internen Diskussion, uns um Formate (Workshops, Veranstaltungen, etc.) kümmern, die uns angemessen erscheinen. Obwohl wir die Kritik an der Veranstaltung richtig finden, bleiben für uns die dort vertretenen Inhalte Bestandteil der notwendigen und linksradikalen Kritik am Islamismus. Wir sehen sowohl die Veranstaltung als auch die Kritik an dieser als Teil der Debatte um die richtige Kritik des Islamismus. Einer Kritik, die weder Rassismen reproduziert, kulturalistische Feindbilder bedient, noch den Islamismus entschuldigt. Diese Kritik sollte sich nicht nur auf die Erfahrungen von Betroffenen beziehen, sondern maßgeblich an der von migrantisierten Genoss:innen entwickelten und seit Jahren geübten Kritik und Praxis anknüpfen. In diesem Sinne sei auf diesen Text verwiesen: https://wirgegenislamismus2020.wordpress.com.
Es gilt den Islamismus zu begreifen als das was er ist: eine menschenfeindliche und reaktionäre Ideologie.
 

Wie oben beschrieben halten wir Social Media nicht für den richtigen Ort für eine angemessene Diskussion, die Kommentarfunktion ist deshalb gesperrt und wir werden Kommentare löschen. Bei Anmerkungen und Kritik schreibt uns gerne an unsere Mail:
salt.city.antifa@nadir.org
 
*Ergänzung vom 03.02.2021*
Da uns noch ein paar Reaktionen erreicht haben, hier noch ein kleiner Nachtrag: 
 
Wir wollen uns an dieser Stelle dafür entschuldigen, dass wir durch die Nutzung einer Wir/Ihr-Aufteilung in dem Kontext der Veranstaltung Rassismus reproduziert haben. 
Auch die Kritik an unserem bisherigen Umgang mit Rassismen, deren Reproduktion und unsere Reaktionen auf geäußerte Kritik zeigt auf ein Versäumnis unserer Seite hin. Wir nehmen uns das zum Anlass für eine selbst-kritische Auseinandersetzung. 
 
Außerdem wollen wir klarstellen, dass wir keine der geäußerten Kritiken so verstanden haben, als sollte die Kritik am Islamismus als solche kritisiert werden. 
 
Salt City Antifa
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Was ist (nicht) passiert?
Am 08. November 2020 fand in Lüneburg eine Kundgebung in Solidarität mit den Opfern des Terroranschlags in Wien statt. Eine antifaschistische und mehrheitlich weiße Gruppe hatte diese organisiert und einen Aufruf dazu veröffentlicht.
Während der Kundgebung war insgesamt ein Redebeitrag zu hören,vorgetragen von einem weißen Cis-Mann.
Die Veranstaltung reiht sich ein, in eine Serie antifaschistischer Veranstaltungen, die von mehrheitlich (wenn nicht sogar komplett) weißen Gruppen und Menschen organisiert und besucht werden. Am Tag nach der Kundgebung wurde unter der online veröffentlichten Rückschau des „Antifaschistischen Infoportal LG“ eine substanzielle, inhaltliche und organisatorische Kritik von der Genossin of Colour S. formuliert. Diese richtete sich vor allem gegen ein von weißen beanspruchtes „Wir“ ohne die explizite Bezugnahme auf bzw. mit Ignoranz gegenüber muslimischen, mirgantisierten und PoC- Communities. Außerdem richtete sich die Kritik gegen die Verwendung des Begriffs der „barbarischen Ideologie“ in dem Aufruf, der anti-muslimischen Rassismus reproduziert.
Die Kritik von S. wurde jedoch ohne Kommentar oder Bezugnahme gelöscht, mit der Begründung, das Internet sei nicht der richtige Ort, um diese Debatte zu führen. Diese Begründung wurde nicht öffentlich sondern in einer privaten Chatnachricht gegeben.
Außerdem hatte S. schon am Tag der Demo über ihren Instagram Account in einem Story-Beitrag versucht mehr über den Hintergrund der Demo herauszufinden, und nach fehlender Rückmeldung auch hier ihre Kritik an der Demo und dem Aufruf der Demo geäußert. Nachdem sie von BIPOC und im späteren Anschluss vor allem von weißen FLINTs Unterstützung erfahren hat, kamen von einigen weißen cis-Männern aus der Szene komische Rückmeldungen oder Rückfragen, andere aus dem Umfeld hatten sich der Kritik nicht gestellt, bzw. sich nicht oder erst verspätet mit dieser auseinandergesetzt. Im Anschluss daran, vertiefte S. anhand von weiteren Erfahrungen aus den letzten Jahren ihre strukturelle Kritik an weißen linken Gruppierungen Lüneburgs, und erklärte wie dieses beschriebene Beispiel ein Muster für das darstellt, was BIPOC schon seit Jahren hier kritisieren. S. kritisierte hier unter anderem den Umgang der Salt City Antifa mit Rassismus in verschiedenen Kontexten. Die Kritik entwickelte sich so von einer Kritik am Aufruf der genannten Demo zu einer allgemeineren strukturellen Kritik an linken Gruppen in Lüneburg.
 
*Warum finden wir die Reaktionen und unsere Strukturen problematisch?*
 
Wir, eine autonome und weiße Kleingruppe, finden dieses Verhalten unsolidarisch und erklären unsere Solidarität mit S. Wir sehen es als ein Versagen von uns als Kleingruppe und der linken Szene, dass das Sichtbarmachen und Kritisieren von rassistischen Strukturen und Inhalten schon wieder durch ein*e BIPOC angestoßen werden musste.
Wir sind der Überzeugung, dass diese Debatte schon lange überfällig ist und dass ein Löschen von kritischen Kommentaren genau diese wichtige und ernstzunehmende Kritik unsichtbar macht. Diese Debatte beinhaltet für uns u.a. eine Auseinandersetzung mit unserem internalisierten Rassismus und den damit verbundenen mangelnden Räumen und Möglichkeiten Kritik (sicher) zu äußern. Es braucht eine radikale Veränderung in unseren Strukturen, wenn wir Menschen nicht weiterhin aktiv ausschließen wollen. Wir möchten gerade deshalb diesen Text und damit auch die Geschehnisse mehr in die (Lüneburger) Öffentlichkeit tragen, sowohl auf Social Media als auch in Telegramgruppen. Zum einen, um Einzelpersonen, die öffentlich Kritik üben, nicht alleine zu lassen und diese zu unterstützen. Zum anderen, um dem Inhalt der Kritik mehr Raum in der linken Szene Lüneburgs zu geben, mehr Stimmen zuzulassen und damit auch über Salt City Antifa, der Antifa Lüneburg-Uelzen und dem 8. März Bündnis hinaus mehr linke Gruppen und Menschen in die Diskussion miteinzubinden. Denn nicht nur diese Gruppen verstehen sich als antifaschistisch und antirassistisch und sind zeitgleich mehrheitlich weiß. Dies gilt es zu reflektieren und aktiv an Veränderungen zu arbeiten.
 
*Was können wir tun?*
 
Wir brauchen einen anderen, offeneren Umgang mit Kritik. Und yes, dabei müssen wir zunächst mal bei uns selber anfangen und uns fragen: Wie gehe ich mit Kritik um? Was löst es in mir aus, Kritik an mir, an meiner politischen Arbeit zu hören? Höre ich den Inhalt der Kritik oder beschäftigt mich erstmal wie, wo und von wem die Kritik geäußert wurde? Aus welcher Perspektive spreche ich und gestehe ich den Perspektiven Anderer Raum ein? Welche Räume haben wir um Kritik zu äußern und miteinander zu diskutieren und wie können wir die Räume, auch in Zeiten von Covid 19, schaffen? Wie können diese Räume zugänglich(er) gestaltet werden? Wir erkennen an, dass die Kämpfe für eine befreite Gesellschaft nur zusammen erfolgreich sein können, wenn sie antirassistisch,antisexistisch und antidiskriminierend geführt werden. Und wir lehnen Thesen von „Haupt- und Nebenwidersprüchen“ ab. Genau wie Diskriminierungsformen miteinander verwoben sind, sollten es auch unsere Kämpfe sein. Radikale Vielfalt von Taktiken und Kämpfen kann es uns ermöglichen, White Supremacy, Staat, Kapital und Patriarchat von allen Seiten anzugreifen. Gleichzeitig müssen wir auch anerkennen, dass wir (noch) nicht an diesem Punkt sind. Als linksradikale Szene sind wir in Lüneburg sehr weiß und bürgerlich geprägt. Die großen Bekenntnisse zu Intersektionalität und anti-diskriminatorischer Politik bleiben leider oft ohne reale Handlungskonsequenz. Wir sagen: „Unsere Räume sind für alle offen!(außer Nazis etc.)“, doch sind sie das wirklich? Wie viele Menschen trauen sich nicht ins Anna & Arthur, weil sie das Gefühl haben nicht dazu zu gehören? Wie viele Menschen fühlen sich in linken Gruppen nicht
willkommen, werden nicht willkommen geheißen oder machen Diskriminierungserfahrungen? Wie viele Menschen können auch an offenen Plena nicht teilnehmen, weil ihre Kinder keine Betreuung haben oder Plena fast immer auf Deutsch abgehalten werden? Wie können Diskussionen transparenter geführt werden und wie muss das Social Media- Konzept von linken Gruppen ans Jahr 2020 angepasst werden? Diese Auseinandersetzung, die geäußerte Kritik, all das ist nicht neu und doch ändert sich wenig bis nichts. Schon lange gibt es von BIPOC die Forderung an linke Gruppen, BIPOC-Expert*innen für anti-rassistische Bildungsarbeit einzuladen, Veranstaltungen zu organisieren. Es ist unsere Verantwortung die Kritik endlich umzusetzen. Dazu gehört auch zu erkennen, dass von BIPOC immer wieder verlangt wird ganz ’nebenbei‘ kostenlose Bildungsarbeit zu machen. Dass es an BIPOC liegt immer wieder bestimmte Themen anzusprechen. Es gibt die Expert*innen, die antirassistische Bildungsarbeit machen, auch in Lüneburg. Die müssen wir einladen und auch bezahlen.
Wir möchten hier darauf hinweisen, dass es sich bei uns um eine weiße Gruppe handelt und auch wir nicht frei von Rassismus re_produzierendem Verhalten sind. Wir sehen unsere eigenen Privilegien in der Gesellschaft, die z.B. auch darin liegen, dass wir uns aussuchen können, ob wir uns mit Rassismus beschäftigen wollen oder nicht. Umso wichtiger finden wir es, dass wir unsere Privilegien als weiße Menschen in dem Sinne nutzen, bei dem Thema Rassismus (in der linken Szene) nicht wegzuschauen. Sondern unsere eigenen Strukturen zu hinterfragen und in der linken Szene eine breitere Diskussion anzustoßen. Dieser Text ist ein Versuch dafür und ist mit unserer Genossin S. abgesprochen. Wir erkennen, dass wir Verantwortung tragen für unser Handeln und die Ausschlüsse, die wir dadurch produzieren. Wir wollen uns dieser Verantwortung nicht (weiter) entziehen. Wir wollen nicht aus Angst, etwas Falsches zu sagen, zu geäußerter Kritik schweigen und vor einer öffentlichen Diskussion zurückschrecken. Lasst uns gemeinsam(er) diskutieren, um wirklich was zu verändern.
Zu unserer Haltung fehlt zu oft eine Handlung – uns fehlt die praktische Solidarität.
P.S: Wir sind uns bewusst, dass wir hier nicht alle Formen von Diskriminierung benennen und sie dadurch unsichtbar machen.“