8. Mai 2021 – 76 Jahre Tag der Befreiung

 
„Für alle Ewigkeit muss im Gedächtnis bleiben: Dieses Morgenrot der Menschheit, dieser Jubel, der ganz Europa, ja die ganze Welt erfasste, aber auch, dass es ihn in Deutschland nicht gab.“
 

Peter Gingold (Befreier und befreiter deutscher Jude und Kämpfer in der französischen Resistance (1916-2006)

 
 
 
Am 8. Mai 1985, erst 40 Jahre nach Kriegsende, hat Richard von Weizsäcker, damaliger Bundespräsident, den 8. Mai als „Tag der Befreiung vom menschenverachtenden System der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft“ bezeichnet. Bereits damals ein längst überfälliger Satz, denn viel zu lange, und teilweise bis heute, wurden die Forderungen der ehemals Verfolgten und der Widerstandskämpfer*innen nicht gehört und ihre Perspektiven ignoriert. Dass ein deutsches Staatsoberhaupt dies überhaupt thematisierte, ist einer Auseinandersetzung der nachkommenden Generationen mit der deutschen Täter*innenschaft, zum Teil auch in ihren eigenen Familien, zu verdanken. Allerdings bezog sich Weizsäcker nur oberflächlich auf die Perspektiven der ehemalig Verfolgten und Widerständler*innen. Tatsächlich war seine Rede vor allem davon geprägt, die Deutschen als gleichwertige Opfer des Nationalsozialismus darzustellen und die geschichtsrevisionistische These der in die Irre geführten Deutschen stark zu machen. Abseits von mehr oder minder schönen Phrasen erfolgte durch Weizsäcker keinerlei Übernahme politischer Verantwortung, keine Konsequenz aus seinen Worten gegenüber den Opfern und oft bis heute keine Entschädigung.
 
Darüberhinaus waren nach Kriegsende die Nazis nicht einfach weg. Sie hatten nur die Uniformen und Parteiabzeichen abgelegt. Manche saßen in Regierungen, in Parlamenten und hatten wichtige Posten in der neu gegründeten Bundesrepublik inne. Auch Profiteur*innen der Verbrechen und der Enteignungen jüdischen Eigentums hatten an der Auseinandersetzung kein Interesse. Die Täter*innen kamen weitestgehend ungeschoren davon, die überlebenden Opfer und ihre Familien mussten bitter um Entschädigung kämpfen. Auch in der damaligen NS-Gauhauptstadt Lüneburg konnten zahlreiche Karrieren von Nazis, zum Beispiel in der Justiz, nach dem Ende des Nationalsozialismus weitergehen.
 
Noch in den letzten Kriegstagen erschossen Angehörige von Wehrmacht und SS in Lüneburg bis zu 80 KZ-Häftlinge. Zuvor wurden 390 in Güterwaggons gesperrte Häftlinge am 7. April 1945 während eines Fliegerangriffs der Alliierten auf den Lüneburger Güterbahnhof nicht in Sicherheit gebracht. Viele fielen so den Bomben zum Opfer. Die Lüneburger Bevölkerung wusste von den Vorgängen, schritt aber nicht ein. Ganz im Gegenteil: Teile der Lüneburger Zivilbevölkerung folgten dem in der Lokalzeitung erschienen Aufruf und beteiligten sich an der Menschenjagd nach entflohenen Häftlingen und brachten diese zur SS zurück. Auch hier zeigt sich wieder, dass es nicht eine kleine Elite von „bösen“ Nazis war, die zur Verantwortung zu ziehen wäre, sondern dass die breite Masse der Bevölkerung beteiligt war, oder die Verbrechen wissentlich geschehen ließ.
 
Wir schließen uns der Forderung Überlebender des NS-Terrors an: Der 8. Mai muss ein Feiertag werden! Ein Tag, an dem die Befreiung der Menschheit vom NS-Regime gefeiert werden kann, ein Tag der Besinnung, ein Tag der Ermutigung, Nazis keinen Platz in dieser Gesellschaft zu geben. Das ist jedoch noch lange nicht genug, denn der 8. Mai blieb für die Mehrheit der Deutschen sehr lange ein Tag des „Zusammenbruchs“ und der „Niederlage“. Diese Meinung besteht in Teilen der Gesellschaft bis heute.
Die antisemitische, rassistische, sexistische und vor allem mörderische NS-Ideologie ist bis heute in Teilen der deutschen Gesellschaft verwurzelt. Dies zeigen uns der NSU, die Anschläge in Halle und Hanau, aber auch all die anderen rechten Morde und Anschläge der Geschichte Nachkriegsdeutschlands immer wieder auf brutalste Weise Mit der AfD ist außerdem eine Partei überall vertreten, die sich nicht nur teilweise positiv oder relativierend auf den NS bezieht, sondern die beständig daran arbeitet rechte und extrem rechte Positionen wieder salonfähig zu machen. Es reicht offensichtlich schon lange nicht mehr, nicht rechts zu sein, Antifaschismus ist und bleibt eine Notwendigkeit.
 
Im Auftrag der Ermordeten, der Gequälten und Getöteten fordern wir:
Die Deutungshoheit der Täter*innen darf nicht länger fortbestehen! Stattdessen bedarf es einer Auseinandersetzung, die sich offen und kritisch mit der deutschen Vergangenheit beschäftigt, ohne ewige Selbstentschuldigungen und hohle Phrasen. Dazu gehört ein konsequenter Antifaschismus, der für eine Gesellschaft ohne Rassismus, Antisemitismus, Antiziganismus und andere Formen der Ausgrenzung eintritt. Für eine andere und solidarische Gesellschaft, damit die Katastrophen der Shoah und der Weltkriege nie wieder möglich sind!
 
Salt City Antifa